Gangveranlagung bei ehemals sowjetischen Pferderassen

 Tersker - Dillboss - Quba

Eines der Überreste altgriechischer Skulpturen gestattet uns Einsicht in die hippischen Gewohnheiten Griechenlands. Es ist der Fries des Parthenon. Der Fries stellt die Feierlichkeiten der großen Panathenäen dar, bei welchen die Söhne der ersten Bürger bei Wettrennen zu Roß und Wagen um den Preis kämpften. Die Reiter sitzen ohne Sattel und ihre Gestalt ist sicher und schön. Die Bewegungen der auf dem Fries dargestellten Pferde sind: Schritt und vorzugsweise Galopp (Anm. der Verf.: nur eines von 100 Pferden befindet sich im Trab); der Galopp ist kurz; einige von ihnen gehen im Passgang und diese Art von Gang war, wie wir das schon aus anderen Quellen wissen, seit den ältesten Zeiten in Griechenland bekannt und geschätzt. Es ist ziemlich natürlich, dass sattellos gerittene Pferde für den Trab nicht eingeschult waren, und dass diese Bewegung in der Dressur der Alten gänzlich ausgestrichen war, so wie sie auch heute (Anm.:1876) noch kaum bei den orientalischen Völkern existiert."

So weit Marian, Graf von Hutten-Czapski in seinem Buch "Geschichte des Pferdes", Berlin 1876, Seite 81 f Auch vom persischen Pferd berichtet er, dass diese (zur damaligen Zeit geschätzten und äußerst kostspieligen) Pferde sich in einer Art fortbewegen, die die "Mitte zwischen Trab und Galopp" darstellen und schildert diese Art der Fortbewegung für lange Reisen äußerst angenehm, graziös und schnell (bis zu 20 Werst pro Stunde = 20 * 1,067 km/h) (ebda, S. 160 ff). Auch bei den türkischen, kurdischen und turkmenischen Pferden beschreibt er diese Gangart. Gerade weil persische und turkmenische Pferde sehr begehrt waren und in sehr vielen Zuchten Eingang fanden, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um in all den, eurasischen Pferderassen, die ihr turkmenisches, persisches oder türkisches Blut nicht verleugnen können (alle Pferderassen des Kaukasus: Kabardiner, Karabagh, Dillbosser. Yomud, Achal-Tekkiner, Streletzker Araber, sowie die daraus hervorgegangenen: Don, Budjonny, Orlow, Tersker) auch eine Gangveranlagung in ihrem Erbgut zu suchen und zu finden! Hutten-Czapski geht davon aus, dass jedenfalls zur damaligen Zeit die "Mischlinge" zwischen Persern und Turkmenen die besten Pferde der Welt gewesen seien, und es sei durchaus üblich gewesen, in eine Herde "gemeiner" (regionale Pferdezuchten) Stuten sowohl arabische (aus dem Nedschd), aber auch persische, als auch türkische, kurdische und turkmenische Hengste oder dessen Kreuzungen gemeinsam einzusetzen. Vor allem die Tartaren trugen zur "Mischung" der Rassen bei. Glaubt man den Ausführungen Hutten-Czapskis, so wurden jährlich etwa dreißig bis fünfzigtausend Pferde von den Tartaren an großfürstliche Höfe und kaiserliche Marställe verkauft, die aus den südlicheren Teilen des Landes in die nördlicheren transportiert wurden, wobei der nicht verkaufte Rest auf regionalen Märkten gegen ein geringeres Entgelt abgegeben wurde. (Literatur: "Geschichte des Pferdes" - Marian, Graf von Hutten-Czapski, Berlin 1876, Neuauflage Leipzig 1974)

Verena Scholian

Damit kommen wir zum Thema: Sind russische Pferde Gangpferde????

Tersker: Eine häufig an die IG Karabagh gestellte Frage ist die, ob russische Pferde tölten können. Der Tölt und seine Spielarten sind bei vielen Pferderassen auf der ganzen Welt vertreten, auch bei russischen Pferden. Diese Gangveranlagung kann von verschiedenen Seiten in die russische Pferdezucht gelangt sein. Bei den Arabern zum Beispiel gibt es mehr Tölter, als die Züchter wahrhaben wollen. In Südafrika werden viele Araber im Tölt (dort "Trippel" genannt) geritten, und da viele russische Pferderassen Araberblut führen, kann die laterale Veranlagung daher rühren. Mir wurde von einer lettischen Stute berichtet, die ein Naturtölter wie ein Paso Peruano war. Natürlich gibt es auch weniger stark veranlagte Pferde, bei denen man diese Veranlagung herausreiten muss. Eine Umfrage bei den Mitgliedern der IG Karabagh ergab, dass bei einigen Pferden verschiedener Rassen (Karabaghen, Kabardiner, Anglo-Kabardiner, russ. Trakehner, Tersker) Gangveranlagung festgestellt werden konnte. Mangels Interesse oder Kenntnis wurde dies aber meistens nicht gefördert. Auch ich habe bei meinem Tersker schon vor einigen Jahren eine Gangveranlagung festgestellt und sie soweit gefördert, dass mein Pferd auf mein Zeichen im "Gang" angetreten ist. Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich noch sehr wenig über Tölt und Ähnliches, war mir auch nicht sicher, was mein Pferd da anbietet. Auf einer Veranstaltung ließ ich mir von Experten bestätigen, dass es tatsächlich Tölt war. Damals habe ich diese Angelegenheit nicht weiter verfolgt, aber seit Anfang des Jahres keimte die Idee, meinen Tersker richtig zu tölten. Ich erkundigte mich bei verschiedenen Trainern von Gangpferden nach der Möglichkeit, Kurse zu belegen und erhielt überraschend die Gelegenheit, an einem Kurs mit Stephan Vierhaus teilzunehmen. Sehr gespannt, was ein Trainer von töltenden Trabern zu einem töltenden Tersker zu sagen hat, reisten wir zu einem 3-Tage-Kurs nach Rosbach. Beim ersten Vorreiten erfuhr ich dann, dass Pitja einen Passtölt geht, über Tölt zum Trabtölt verschiebt und dann trabt. Kurz bevor er in Trab fällt, geht er zwei, drei Schritte klaren Viertakt. Ausbildungsziel ist es, diese kurze Phase zu fixieren und auszudehnen. Ich habe auf diesem Kurs viel erfahren über Tölt, welche Zäumungen geeignet sind, welche Sättel, welcher Beschlag, und vieles mehr. Außerdem hat sich wieder einmal die Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit (physisch und psychisch) meines Terskers gezeigt: drei Tage Kurs, vormittags und nachmittags je 30 -45 Min. tölten üben (was für ihn ja sehr ungewohnt und daher anstrengend ist), zwei Nächte im fremden Offenstall, Schlafen ohne Hinlegen. Pitja war am letzten Tag fix und fertig. Und trotzdem, als Stephan ihn ritt, trat er immer willig im "Gang" an, regte sich nicht auf, auch wenn er mit Gerteneinsatz zum Untersetzen der Hinterhand veranlasst wurde. Das erstaunte Stephan sehr. Wenn er einen Traber so gearbeitet hätte wie meinen Tersker, wäre der vor lauter Anspannung und Aufregung schaumig nass geschwitzt. Aber ein wenig Aufregung und Anspannung ist wichtig für guten Tölt, habe ich gelernt. Also muss ich daran arbeiten, mein Pferd kontrolliert "aufzuregen", damit er mit Spannung im "Gang" geht, um daraus dann einen guten Tölt zu entwickeln. Dann steht das Kürzel "TT" nicht nur für "Töltende Traber", sondern auch fiir "'Töltende Tersker".

Ulrike Lorkowski

Dillboss: Auch die Pferde der Rasse Dillboss, früher auch Aserbaidschan-Pferde oder schlicht Kasachen genannt, können tölten. Leider sind in den heutigen Dillbossen -bedingt durch eine zu geringe Population an reinblütigen Dillbossen- die Anteile Vollblutaraber, bzw. Tersker höher als der eigentliche Dillbossblutanteil, so dass man nur noch ab und zu töltende Dillbossen sieht, wie diesen hier rechts, den ich in Baku im Tölt fotografiert habe:

Quba: Ich nehme einmal an, dass Sie, wie ich bisher, noch nie etwas von dieser Pferderasse gehört, gelesen, geschweige denn, einen von dieser Rasse je gesehen haben. Und es gibt sie trotzdem: die Qubas, oder wie wir es schreiben würden Gubás. Sie leben in Aserbaidschan am südlichen Kaukasusrand und werden dort als Hirtenpferde und für den normalen Alltag eingesetzt. Unermüdlich, brav, trittsicher, schnell und freundlich sollen sie sein... und.... sie können tölten und Pass gehen wie die Weltmeister. Wer es nie gesehen hat, glaubt es nicht. Zuerst sah ich einen in einem Renntempo am Seitenstreifen des  "highway" von Baku nach Barda: ich musste zweimal hinschauen: doch! wirklich! was ich da sah, war ein Wahnsinnstempo im Pass. Und in diesem Jahr gleich nochmal, dieses Mal aber etwas dichter: ich stand an seiner Box, sah ihm in die Augen und wusste: das war einer -nein nicht derselbe Quba- aber einer seiner Artgenossen. Nach einem Blick auf unseren Begleiter und einem Hinweis: "Ja, das ist ein Quba!" - bat ich darum, das Pferd einmal im Freien zu sehen. Meiner Bitte wurde entsprochen. Das Pferd, ein Hengst wurde gesattelt und... dusseligerweise hatte ich heute einen Rock an. Silke und Karin, meine beiden Mitabenteurer aber wollten ihn ausprobieren. Keiner der beiden konnte wirklich tölten, beide haben noch nie in ihrem bisherigen Leben auf einem Tölter gesessen (ich schon) und beide legten los, Bahn rauf und Bahn wieder runter in einem Affenzahn. Er töltete! Und das beste: diese Pferde sind zu haben. Ich habe mir gleich eine Option darauf gesichert und bin natürlich gespannt darauf, einen einmal hier in Mitteleuropa reiten zu dürfen (das nächste Mal verbanne ich alle Röcke aus dem Koffer!) - weitere Tölter aus Russland - zu kaufen - siehe http://www.karabagh.de/verkaufspferde.htm

Verena Scholian - Oktober 2005